Dieser Film über ein altes Gemälde mutet, zumindest stellenweise, wie eine Gaunerkomödie an. Der Blick in die Museen, auf Jachten und von ganz weit oben auch auf die Wüste, dazu beschwingte Musik. Und erst die Mitwirkenden, kein Hollywoodregisseur hätte diese Charaktere, von denen einige wie überzeichnet wirken, besser aussuchen können.
Dabei handelt es sich um eine Dokumentation und die Protagonisten sind keine Schauspieler, sondern ganz sie selbst. Die Händler, die Experten, der Oligarch, der Scheich. Sie sind echt, aber ist auch das Bild authentisch, das sie alle um den Verstand bringt?
Der französische Journalist und Dokumentarfilmer Antoine Vitkine hat mit diesem etwa eineinhalbstündigen Beitrag selbst ein Meisterwerk geschaffen, es ist kurzweilig, elegant, entlarvend. Natürlich zehrt er hauptsächlich davon, dass die Realität so unglaublich ist: Ein Bild, das 2005 noch 1175 Dollar kostete, wurde zu einem Mythos verklärt, der zwölf Jahre später unglaubliche 450 Millionen Dollar wert war. Viele hatten ihren Anteil daran, und die Hybris der einen kam der Geschäftstüchtigkeit der anderen zugute.
Drittklassiges Auktionshaus in New Orleans
Vitkine hat übrigens gar nicht den Anspruch, alles aufzudecken. Wie einst Leonardo (und um Leonardo geht es hier) lässt er manches im Vagen. Am Ende stellt man sich als Zuschauer einige Fragen, und damit ist viel erreicht.
Fest steht: Das besagte Ölgemälde zeigt Christus als Erlöser, als »Salvator Mundi«. Fest steht auch, der Preis, zu dem es versteigert wurde, war ein Weltrekord, bis heute ist er ungebrochen. Alles andere ist schon nicht mehr ganz so sicher. Und genau davon – dass eben manches so unerklärlich bis unfassbar ist – lebt also der Film. So mancher Händler und Experte ersetzt die Wahrheitssuche durch Wunschdenken.
Filmemacher Vitkine hat einige zum Reden gebracht, die das vielleicht bereuen. Noch ganz gut, auf jeden Fall gar nicht so gerissen, kommt jener US-Händler weg, der das Bild 2005 in einem drittklassigen Auktionshaus in New Orleans erwarb, weil er ein »Potenzial« sah, er ließ das Gemälde für viel Geld restaurieren, manche sagen allerdings, er ließ es eigentlich neu und »flashy« malen. Denn plötzlich sah das Werk sehr wohl nach mehr aus, so, als könne es von Leonardo da Vinci persönlich stammen, also vom berühmtesten Maler der Geschichte.
Irgendwann kam ein in Monaco lebender Russe ins Spiel
Doch dann sind da auch die Fachleute, die so erstaunlich leicht zu beeindrucken sind. Da ist Luke Syson, der damalige Kurator der ungeheuer ehrwürdigen Londoner National Gallery, der das Gemälde und ein paar Experten anreisen ließ. Es erschien auch der ältliche Renaissancekenner Martin Kemp mit seinem zu dunkel getönten Haar, der sich selbst nicht für einen Erlöser, aber doch für eine höhere Instanz seines Faches hält.
Beide, Museumsmann Syson und Kunsthistorikergott Kemp, waren von der »Präsenz« des Gemäldes beeindruckt. Eine Präsenz, die nur Leonardo selbst erzeugt haben könne.
Und das ist vielleicht die wichtigste Erkenntnis, die der Film ermöglicht: Werke können gelegentlich Unsummen kosten, sie können eine Bedeutung und Popularität erlangen, die Einfluss auf eine ganze Nation haben können – was etwa wäre Frankreich ohne Mona Lisa? Aber die Kunstgeschichte, die heute an der Bildung neuer Ikonen mitwirkt, wird wie eine mittelalterliche Geheimwissenschaft betrieben, selbst die berühmtesten Experten verlassen sich vor allem auf eine Analysemethode: auf ihr Auge, auf ihr Gespür.
Wer dieses Bild anschaue, erkenne Leonardo, der sage, »ich kann das Gesicht Christi sehen«, so formulierte es Kurator Syson. Kunsthistoriker Kemp fühlte sich, als er auf die so weich erscheinenden Lippen des Erlösers blickte, an die Mona Lisa erinnert.
Syson zeigte – und veredelte – das Werk dann sogar 2011 in seiner Leonardo-Schau in der National Gallery, aus einem möglichen Bild aus dem Umkreis oder der Werkstatt Leonardos wurde damit ein eigenhändiges Original, ein Meisterwerk ohne Abstriche, ohne Minuszeichen. Doch seltsamerweise fanden sich anschließend keine Museen, keine etablierten Sammler, die diese Sensation kaufen wollten. Irgendwann kam ein in Monaco lebender russischer Oligarch ins Spiel, der diesen Erlöser sehr wohl erwerben wollte.
Kaum Zweifel, dass es der saudische Kronprinz sein könnte
Mit auf der Bildfläche (und in der filmischen Dokumentation) erschien sein Mittelsmann, der den Deal einfädelte und abwickelte – das allerdings so, dass sich der Oligarch später um 44 Millionen Euro betrogen fühlte. Als der düpierte Russe das ohnehin nur in einem Zollfreilager eingemottete Bild wieder abstoßen wollte, kam Christie's ins Spiel. Vom Auktionshaus angeheuerte PR-Experten inszenierten das Werk als »letzten da Vinci«, filmten Menschen, die in Tränen davor ausbrachen, und der hochrangigste Auktionator des Hauses versteigerte das Werk, das nun schon fast eine Ikone war, 2017 für 450 Millionen Dollar.
Damit hätten die Geschichte und der Film vorbei sein können, ein Happy End für alle Beteiligten, selbst der gedemütigte Oligarch hatte nun einen hervorragenden Schnitt gemacht.
Doch erstens wollte die halbe Welt wissen, wer das Bild für diese schon magische (oder bekloppte) Summe erworben hatte – ein Scheich? – und zweitens wollte das Geraune einfach nicht verstummen, demzufolge das Werk eben nur teilweise oder vielleicht auch gar nicht von Leonardo geschaffen wurde.
Auch der Louvre plante eine Ausstellung zu Leonardo, und zwar zu dessen 500. Todestag im Jahr 2019. Kaum jemand zweifelte mehr daran, dass der neue Eigentümer aus der Golfregion stammt, dass es der saudische Kronprinz sein könnte, dass sicher Ölgeld eingesetzt wurde. Auch für den deutschen Kunsthistoriker Frank Zöllner war das damals naheliegend, er sprach im SPIEGEL von »verzweifeltem Geld«, von einer »Wette auf die Zukunft«, in der die Emirate nicht mehr vom Öl leben könnten und auf Tourismus und daher auch auf kunsthistorische Magneten setzten.
Wer immer das Werk besaß, wollte aber 2019 einerseits noch unerkannt bleiben, andererseits aber das Gemälde in der Louvre-Schau unterbringen – wäre es auch dort als eigenhändige und ausschließliche Arbeit des Meisters etikettiert worden, hätte das vielleicht alle Zweifler verstummen lassen. Erst dieser Segen hätte aus dem Kauf einen Coup gemacht.
Der Film behauptet, das Bild sei sogar nach Paris geschickt und im Louvre eingehend untersucht worden, aber man habe es dort (im Gegensatz zu Londoner National Gallery) nicht als eines ausstellen und kennzeichnen wollen, das allein vom Genie geschaffen worden sei. Denn das habe Leonardo nicht, er habe höchstens mitgewirkt – so stellt der Film die Meinung des Louvre da. Der Louvre jedoch ist letztlich die allerhöchste Instanz, eine noch höhere als der Brite Kemp.
Kurz taucht im Film auch Vincent Delieuvin auf, einer der Kuratoren des Louvre, er hat die Ausstellung über Leonardo mit kuratiert. Schon Monate vor der Eröffnung nahm er sich im Februar 2019 viel Zeit für den SPIEGEL, lud ein ins Museum, er hätte den »Salvator Mundi« gern für seine Schau ausgeliehen. Tatsächlich schien er – trotz seiner höflichen Art – keiner zu sein, der sich vorschreiben lassen würde, wie er das Ausstellungsstück beschriften würde. Daran war nach dem Gespräch nicht zu zweifeln.
Nach der Auktion 2017 sagte Eike Schmidt, Direktor der Uffizien in Florenz, dem SPIEGEL, das der doch eigentlich unvorstellbar hoch erscheinende Preis von 450 Millionen Dollar bereits berücksichtige, dass das Werk umstritten sei. Ein unumstrittener Leonardo hätte sehr viel mehr gebracht, diese Summe sei ein sogenannter »Hope Value« gewesen, die Auktionatoren hätten kein Original verkauft, sondern die bloße Möglichkeit, das Bild könne in Zukunft als Original anerkannt werden.
Nun liegt die Hoffnung vielleicht darin, dass das Bild trotzdem sein Geld wert war, sollte es irgendwann wieder zum Vorschein kommen, wollten vielleicht alle die »männliche Mona Lisa« sehen, für die jemand so viele Millionen ausgegeben hat.
Auch das kommt ja im Film vor, dass das Unvorstellbare nur noch in der Welt der Kunst vorstellbar ist, dass es dort wirklich geschieht.
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