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Hoeneß und die Attacke nach Drehbuch - FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung

Wer zu früh ausgeschaltet hat, dürfte mit einem völlig falschen Eindruck ins Bett gegangen sein. Von Uli Hoeneß als „Abteilung Attacke“ ist am Donnerstagabend lange nichts zu sehen. In seiner neuen Aufgabe als Experte des TV-Senders RTL bei den Übertragungen der Spiele der deutschen Fußball-Nationalelf wirkt der einstige Heißsporn vor dem Mikrofon zunächst wie gezähmt. Als Bundestrainer Joachim Löw aus dem Duisburger Stadion vor dem Duell mit Island ins Studio nach Köln, in dem Hoeneß mit Moderator Florian König steht, geschaltet wird, klingt es, als begrüßten sich zwei Freunde, die sich einige Zeit nicht gesehen haben: „Guten Abend, Jogi.“ „Guten Abend, Uli.“

So geht das eine Zeit lang. Hoeneß wünscht Löw zum Abschied „großen Erfolg“. Der Bundestrainer antwortet: „Dankeschön.“ Hoeneß nennt das deutsche Mittelfeld ein „Prunkstück“. Und Löw sekundiert: „Wie Uli schon sagt: Wenn das Mittelfeld gut besetzt ist, hat man auch Vorteile.“ Ach ja. Dass Timo Werner nicht in der Startelf stand, überrascht Hoeneß ein wenig, aber der „liebe Jogi“ werde sich dabei schon etwas gedacht haben. Natürlich. Und überhaupt: „Wir wünschen uns alle, dass wir einen großartigen Start ins neue Jahr sehen.“ Daher: „Alles Gute.“

Kurz danach erahnt der aufmerksame Zuschauer, dass es womöglich ein Drehbuch gibt. Wir sind ja schließlich beim Fernsehen. Hoeneß lobt nochmal Löw, der seinen Rücktritt zuletzt weit im Voraus angekündigt hat. Und Hoeneß lobt den Deutschen Fußball-Bund (DFB), der sich nun Zeit lässt bei der Nachfolgersuche. „Wir sollten alle jetzt etwas geduldiger sein und dann wird es bis Juni oder Juli auch eine gute Lösung geben“, sagt Hoeneß. Moderator König will da später nochmal nachbohren. Offenbar hat Hoeneß noch etwas zu sagen. Aber erstmal „sollen die Jungs spielen“.

„Dankeschön Uli. Danke euch“

Das tun sie. Hoeneß‘ Wunsch nach „ein, zwei Toren“ erfüllt sich schnell: 1:0 durch Leon Goretzka in der zweiten Minute, 2:0 durch Kai Havertz in der siebten Minute. Die Warnung vor dem Gegner aus Island („Sie sind natürlich von der physischen Stärke her sehr stark.“) hat sich da längst versendet. Die sportliche Analyse in der Pause beschränkt sich auf das Offensichtliche. Dafür gibt es noch einen weiteren Wunsch von Hoeneß für die zweite Halbzeit: „Es wäre schön, wenn wir jetzt gleich das dritte Tor machen würden, dann wäre Ruhe.“ Ilkay Gündogan erfüllt ihn. 3:0 in der 56. Minute.

Es hat etwas von einer Wohlfühloase, die sich nach dem Spiel breitmacht. Die Spieler sind glücklich, dass nicht mehr ein 0:6 als letzter Eindruck vorherrscht. Der Bundestrainer ist auch glücklich. Und Hoeneß ist es erst recht. „Nicht nur das Ergebnis hat mich total überzeugt, sondern auch die Art und Weise, wie es zustande gekommen ist. So habe ich mir das vorgestellt und ich bin total zufrieden. Was phantastisch war, war das Spiel ohne Ball. Herzlichen Glückwunsch, Jogi, das war ein guter Start.“ Das freut auch Löw: „Dankeschön Uli. Danke euch. Tschüss, macht‘s gut.“

Kritik am Bundestrainer, die mancher erwartet oder vielleicht erhofft hatte, als RTL Anfang Februar bekanntgab, dass Hoeneß für die WM-Qualifikationsspiele gegen Island, in Rumänien am Sonntag und gegen Nordmazedonien am kommenden Mittwoch verpflichtet wurde, ist hier heute nicht mehr zu erwarten. Aber ein gutes Drehbuch setzt die Pointe halt nicht schon zu Beginn. So haben es sich offenbar auch Hoeneß und der Sender gedacht. Als der sportliche Teil unspektakulär abgehandelt ist, führt Moderator König langsam zu einem Thema, das Hoeneß unter den Nägeln brennt: der DFB und sein aktueller Zustand.

Es fängt harmlos an mit der Frage, wer denn Löw als Bundestrainer nachfolgen solle. Hoeneß ist mit dem Herzen selbstredend ganz beim FC Bayern, auch wenn er zwischenzeitlich sagt, heute schlage sein deutsches Herz. Hansi Flick als Bundestrainer? Da erwacht der langjährige Münchner Macher in Hoeneß: „Karl-Heinz Rummenigge hat sich ja zu diesem Thema eindeutig festgelegt. Für den Verein ist das überhaupt kein Thema.“ Ralf Rangnick? Hoeneß zweifelt, ob es mit DFB-Direktor Oliver Bierhoff geht. Lothar Matthäus? „Phantastischer Fußballfachmann.“ Vielleicht eine Übergangslösung, bis ein gebundener Kandidat kann? „Nein, dafür bin ich überhaupt nicht.“

„Völlig überfordert in der Position“

Dann endlich, die Stunde vor Mitternacht ist angebrochen, bekommt Hoeneß sein Stichwort, auf das er offensichtlich lange gewartet hat. Muss beim DFB nicht eigentlich noch mehr als nur ein neuer Bundestrainer gesucht werden? Ohja! Die frühe Entscheidung von Bundestrainer Löw, nach der EM aufzuhören, müsse auch dazu führen, dass der DFB „seine derzeitige Führungsstruktur überdenken muss“, sagt Hoeneß. „Es kann nicht sein, dass das, was sich da im Moment abspielt, so weitergeht. Das ist ein Trauerspiel!“

Hoeneß wird persönlich. Er kritisiert das Verhältnis zwischen Generalsekretär Friedrich Curtius und DFB-Boss Fritz Keller. Dieser sei als Präsident gewählt worden, im gleichen Atemzug habe „der Rest des Präsidiums die Kompetenzen eingeschränkt, damit sie weiterhin wurschteln können, wie sie wollen. Und das kann so nicht sein“, sagt Hoeneß. „Ich bin überzeugt, dass hier personelle Konsequenzen getroffen werden müssen, und zwar Veränderungen.“ Er denke da „speziell an den Generalsekretär, der für mich völlig überfordert ist in dieser Position“.

Auch Schatzmeister Stephan Osnabrügge bekommt einen Seitenhieb vom verurteilten Steuersünder Hoeneß: „Die Steuerfahndung geht beim DFB etwa so oft ein wie der Briefträger. Und das kann so nicht weitergehen.“ Vizepräsident Rainer Koch denke ja eigentlich, „dass er der geeignete Präsident wäre. Diese drei ewig Unzufriedenen versuchen hier das Geschäft zu machen und der Leidtragende ist in dem Fall Fritz Keller. Wenn sich da nicht irgendwie eine Lösung findet, (...) dann wird das nichts mehr. Es müssen personelle Konsequenzen her.“

Dass Hoeneß sich seinen Rundumschlag gegen den Verband offenbar gut überlegt hat, zeigt sich daran, dass er eine Lösung zur Hand hat. Koch als deutscher Vertreter beim Weltverband Fifa? Peter Peters bald beim Europäischen Verband Uefa? „Der hat ja bei Schalke nicht gerade gute Arbeit geleistet“, stichelt Hoeneß. Sein Vorschlag: „Karl-Heinz Rummenigge, der nächstes Jahr beim FC Bayern aufhört, sollte beide Ämter irgendwann übernehmen. Dann hätte der FC Bayern, äh, die deutsche Fußball-Welt den besten Vertreter, den man haben kann.“

„Streiten wie die Besenbinder“

Hoeneß ist in Fahrt. „Das wäre mal ein erster Anfang. Die streiten ja wie die Besenbinder. Es geht ja nicht mehr um Fußball, nur noch um Postenschacherei. Um Aufwandsentschädigung. Um Machtgespiele. So kann es nicht weitergehen“, sagt er nun mit deutlich mehr Emotionalität als bei der oberflächlichen Spielanalyse zuvor. „Ich habe Karl-Heinz vor ein, zwei Monaten darauf angesprochen. Da hat er mir natürlich nicht gesagt, das mache ich sofort, aber ich glaube, er würde sich geehrt fühlen. Ich denke, er würde dem deutschen Fußball einen phantastischen Gefallen tun.“

Und Hoeneß liegt noch ein letzter Punkt am Herzen: der Amateur- und Jugendfußball in der Corona-Krise. „Da höre ich vom DFB überhaupt nichts“, behauptet er unwidersprochen. „Die Pandemie ist ein Riesenproblem für den Amateursport, für den Jugendfußball. Jetzt müssten die Herrschaften anfangen, Konzepte zu entwickeln. Es sind Hunderttausende von Jugendlichen ausgetreten aus den Vereinen. Auch die Fußball-Bundesliga muss Geld in die Hand nehmen, um mitzuhelfen, dass dieser Brunnen, aus dem der Nachwuchs entwickelt wird, nicht austrocknet.“ Prompten Widerspruch muss Hoeneß bei der Tirade nicht befürchten. Es ist seine alleinige und neue Bühne, die er nutzt. Die „Abteilung Attacke“ ist zurück.

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