Eine mörderische Gute-Nacht-Geschichte im Stile eines Schmunzel-Krimis mit Schmäh und herzigen Grantigkeiten wird dem Wiener „Tatort“-Team beim fünfzigsten Einsatz von Harald Krassnitzer als Kriminalpolizist Moritz Eisner nicht gegönnt – im Gegenteil. Nicht umsonst leidet Eisners Partnerin Bibi Fellner (Adele Neuhauser) in dieser Episode an Schlaflosigkeit, wälzt sich ruhelos im Bett hin und her und zieht radikale Lösungen in Betracht. Wie wäre es mit ein paar Licht-aus-Pillen von der Informantin im Drogenmilieu? Statt die Tabletten zu schlucken, kaut Bibi Fellner dann aber doch wieder verbissen auf dem Fall herum, dessen Imperativ ihr auf der Seele lastet: „Wir müssen den Buben finden.“
Wenn Kinder zu Opfern werden, werden die schlimmsten Albträume wahr. In der somnambulen Atmosphäre der von Christopher Schier inszenierten Episode „Die Amme“ dämpfen atmosphärisch dichte Bilder einer Stadt zwischen Tag und Dunkel, wie sie der Kameramann Thomas Kürzl immer wieder findet, den Schrecken. Dieser freilich hat sich – gängige Chiffre des Fernsehkrimis für Orte, an denen Unheil droht – verschanzt in heruntergekommenen Altbauwohnungen, in denen von den Wänden blätternde Blumen- oder Streifentapeten auch jede Mid-Century-Nostalgie auflösen. Interieurs aus der Vergangenheit (Szenenbild Veronika Merlin) sollen wohl zusätzlich die Spiegelneuronen in den Hirnen der Zuschauer befeuern, deren eigenes inneres Kind mit seinen Ängsten aktiviert werden kann angesichts dessen, was sich in diesem „Tatort“ abspielt.
Für das Publikum – nicht die Ermittler – liegt nach zehn Minuten offen zutage: Ein Psychopath, der vor Mord nicht zurückschreckt, entführt Kinder von Prostituierten und hält sie mitten in der Stadt gefangen. Einen etwa zehnjährigen Jungen hat er in seine Gewalt gebracht. Motiv: unklar. Die Figur des Täters wurde von dem Drehbuchautor Mike Majzen ganz auf die Unbegreiflichkeit psychotischen Handelns hin geschrieben. Max Mayer spielt mit mephistophelischem Aplomb den Messerstecher mit dem irren Blick, der draußen auf der Straße den Drogenfahnder gibt, tatsächlich aber selbst dem Crack verfallen ist. Hinter verschlossenen Türen, wo der angekettete Samuel (Eric Emsenhuber) wartet, zieht er sich eine Langhaarperücke über den Kopf, Stöckelschuhe an die Füße und sagt mit sanfter Stimme: „Ich bin jetzt deine Mama“.
Ohne dass es kitschig wirkt
Eine solche Figur auf der Grenze zwischen den Geschlechtern, die offenbar aus einer tiefgreifenden Störung heraus handelt, womöglich schwere kindliche Traumata erlitten hat und im Rausch dem Wahn verfällt, ist eine riskante Entscheidung in Zeiten, in denen Institutionen und Aktivisten sich überschlagen mit Vorgaben für gendersensibles Sprechen und die gesellschaftliche wie künstlerische Repräsentation von Trans-Identitäten. Janko, der Cross-Dresser und Kindsentführer, gehört jedoch ganz offensichtlich nicht der LGBTQ-Welt und ihren Weiterungen an. Er wird gezeichnet als gefährlicher Verrückter, der seine Persönlichkeitsspaltung, die Sucht und den Wirklichkeitsverlust nach außen hin perfekt zu kaschieren weiß. Blitzartige Überblendung seines Gesichts mit dem einer schreienden Frau lassen ihn schließlich wie besessen wirken, was des Guten – oder monströs Bösen – ein bisschen zu viel ist.
Sensibel erfasst ist dagegen die Wirkung der überwältigenden Müdigkeit auf Bibi Fellner. An der Grenze zum Burnout, geplagt von der ewigen Angst der Polizistin, immer zu spät zu kommen, nichts verhindern zu können, schnauzt sie die neue Assistentin Meret Schande (Christina Scherrer) an. Ein Tinnitus-Pfeifen über die Tonspur, wenn Bibi Fellner Blut in einem sichergestellten Wagen findet. Oder sie steht plötzlich alleine da, wo doch andere um sie stehen, in der Aufmerksamkeit gleichsam frei schwebend und nach innen lauschend, auf ihr „Bauchgefühl“. Adele Neuhauser spielt das so anstrengungslos, als könnte sie es im Schlaf.
Dafür, sich mit ihrem Partner Moritz Eisner zu kabbeln, fehlt die Kraft und ist die Lage zu ernst. Der einzige Gag von tiefschwarzem Humor bleibt ein Todessturz auf ein Polizeiauto mit Kollegen, die lieber über Hunde parlieren, als zu observieren. Und Moritz Eisner fragt sich, ob er wirklich wie ein Sozialarbeiter aussehe. Ein wenig ist das dieses Mal die Rollenbeschreibung für Harald Krassnitzer: Souverän gibt er den abgeklärten wie emotional angefassten Ermittler. Der Lösung des Rätsels kommt er immer wieder schmerzlich nah und verliert es doch aus dem Blick – bis Bibi Fellner es erfasst. Aber da geht es schon um Leben und Tod. Wie sehr man dem Wiener „Tatort“-Team aber noch ein langes gemeinsames Ermittlerleben vor der Kamera wünschen kann, zeigen Szenen im Krankenhaus, in denen Eisner um das Wohlergehen seiner Kollegin bangt. Nur wenn zwei über Jahre zusammengewachsen sind wie diese beiden, kann einer sagen, ohne dass es kitschig wirkt: „Schön, dass es dich gibt.“
Der Tatort: Die Amme läuft an diesem Sonntag, 28. März, um 20.15 Uhr in der ARD.
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