Ein Smartphone mit Zehnkern-Prozessor, 16 Gigabyte (GB) RAM und 512 GB Flash-Speicher für 80 Euro? Wow, was für ein Angebot! Zweifel, dass das ja viel zu gut ist, um wahr zu sein, werden vom Schnäppchenjagdtrieb und den vielen positiven Bewertungen auf Wish.com überrollt – und schon ist der Bestell-Knopf gedrückt. Schließlich steht da ja auch was von »30 Tage Rückgabe & Rückerstattung« auf der Website, und der Händler verschickt aus Deutschland.
Tatsächlich ist das Paket wenige Tage später da; und es steckt wirklich ein Android-Smartphone drin. Das Systemeinstellungen-Menü zeigt die versprochenen Spezifikationen an, aber irgendwas stimmt da nicht: Wieso ist das Ding trotz High-End-Technik so wahnsinnig langsam, obwohl sogar Analyse-Apps wie AIDA64 das Smartphone-Innenleben so darstellen, wie vor dem Kauf versprochen?
Eine von der »c't«-Redaktion entwickelte Android-App deckt die Wahrheit auf: Es steckt komplett veraltete Technik im Telefon: Ein lahmer Dualcore-Prozessor, läppische 512 MB RAM, 8 GB Speicher. Statt Android 11 ist die sieben Jahre alte Version 4.4.2 installiert – inzwischen voller Sicherheitslücken.
Am Anfang der Recherche vermuteten wir zwar, dass wir auf Fake-Phones stoßen würden – das Ausmaß der Fälschungen überraschte uns dann aber doch. Nachdem wir elf Smartphones bei unterschiedlichen Onlineshops bestellt haben und sich alle elf als Fake-Phones entpuppten, wird klar: Das ist ein handfestes Problem; vor allem bei der US-amerikanischen Plattform Wish.com und dem chinesischen AliExpress.
Nachdem wir alle Telefone untersucht hatten, waren wir sicher, dass wir Fake-Phones schon vor dem Kauf erkennen können, denn die Masche ist immer die Gleiche: Maximales High-End (16 GB RAM, 512 GB Speicher, 5G-Unterstützung) für knapp über oder sogar unter 100 Euro.
Das Foto wirkt unrealistisch, die technischen Daten scheinen für knapp 60 Euro viel zu gut, um wahr zu sein
Foto: c't91 von 100 sind Fakes
Als wir kurz vor Redaktionsschluss auf Wish und AliExpress nach dem Suchbegriff »Smartphone« gesucht und uns die ersten 100 Suchergebnisse angesehen haben, waren davon bei Wish.com 91 offensichtliche Fakes. Bei AliExpress fanden wir bei zwei Tests mit unterschiedlichen Browsern einmal 64 und einmal 17 Fälschungen.
Grenzt man den Preis auf unter 100 Euro ein, steigt die Fake-Quote sogar noch. Auch bei Amazon und eBay haben wir Fakes gefunden, dort handelt es sich aber um Einzelfälle; die Wahrscheinlichkeit, dort zufällig auf gefälschte Smartphones zu stoßen, ist gering. Warum so viele Fake-Händler auf den Plattformen offenbar unbehelligt ihr Unwesen treiben können, klärt ein Interview.
Bei unseren Probekäufen sind uns drei Kategorien von Fake-Phones aufgefallen: Am dreistesten sind die »echten« Fälschungen, sprich: Geräte, die mit Nennung des Markennamens zum Beispiel als »Samsung Galaxy S21« verkauft werden und die sogar Verpackung und Zubehör nachahmen. Die mittlere Dreistigkeitsstufe stellen die Geräte dar, die auf die Nennung des Herstellernamens verzichten, das Produkt aber beispielsweise »S21« nennen und zumindest die Geräterückseite mehr oder weniger originalgetreu kopieren – also zum Beispiel das bei vielen Smartphones charakteristische Kameramodul.
In eine dritte Kategorie fallen Smartphones mit Fantasienamen. Zum Beispiel das »RRunzfon Android Handy für Erwachsene«, das wir bei Amazon gefunden haben. In allen drei Kategorien wird mit High-End-Komponenten wie Zehnkern-Prozessor und 16 GB RAM geworben; und immer ist die Telefonsoftware so modifiziert, dass das Systemeinstellungen-Menü die beworbenen Specs falsch anzeigt.
Mit Abstand am häufigsten lief uns die mittlere Dreistigkeitsstufe über den Weg, also an Marken-Smartphones angelehnte Gehäusedesigns und Bezeichnungen, aber ohne Verwendung markenrechtlich geschützter Logos und Markennamen.
Der Grund dafür liegt auf der Hand: Geräte dieser Art werden vom Zoll nicht erkannt; denn die Fälschung wird ja erst ersichtlich, wenn man die beworbenen Spezifikationen mit den tatsächlich vorhandenen vergleicht – und der Zoll kann nicht wissen, unter welchen Bedingungen das Gerät verkauft worden ist.
Obwohl wir bei unseren Recherchen nur vereinzelt Fälschungen der ersten Kategorie gefunden haben, hat der deutsche Zoll im Jahr 2020 über 60.000 solcher Komplettfälschungen aus dem Verkehr gezogen. Bedenkt man, dass der Zoll nur auf Antrag eines Rechteinhabers tätig wird, dürfte die reale Zahl der gefälschten Geräte deutlich höher sein.
64 Millionen Kameras mit Rubiks-Cube-Technik - fast lustig, wäre es nicht Betrug
Foto: c'tWer steckt dahinter?
Die elf von uns geprüften Fake-Phones ähnelten einander in einigen Belangen stark. Zum Beispiel lag allen Geräten ein gleichaussehendes USB-Netzteil bei – bei den meisten stand die Typbezeichnung »YKX-010« drauf. Ein CE-Zeichen trugen die Geräte meist nicht und das aus gutem Grund: Mehrere der Netzteile flogen uns mit einem Knall um die Ohren, als wir 1-Kilovolt-Spannungsspitzen auf der Stromleitung simulierten. Einen solchen »1-kV-Burst-Surge-Test« müssen laut Gesetz alle Geräte überstehen, die hierzulande in den Verkauf kommen.
Außerdem steckten fünf der Smartphones im gleichen weißen Karton mit einem Android-Roboter und der Aufschrift »Smartphone«. Dennoch haben wir nicht den Eindruck, dass hinter den Fake-Phones ein einzelner Hersteller steht, der beispielsweise immer das gleiche Billig-Mainboard in unterschiedliche Gehäuse steckt. Dafür gab es zu viele Unterschiede bei der Hardware: Mal waren 512 MB RAM verbaut, mal 1 GB und mal sogar 2 GB. Was möglich ist: Dass es sich um nicht verkaufte Bestände antiker Smartphones handelt, die von kleineren Betrügerfirmen in Gehäuse eingebastelt werden, die aktuellen Smartphones ähneln.
Eines der Netzteile nach einem Überspannungs-Test
Foto: c'tViele Details sind geradezu lustig: Bei einem Gerät ist im deutschen Einstellungsmenü von »16 GByte Schafbock« die Rede – »Ram« ist das englische Wort für ein männliches Schaf. Bei einem Gerät steht »BRAND« auf dem Gehäuse, also der englische Begriff für »Marke« – da hat wohl jemand was vergessen. Schön auch: Bei einem Smartphone lag eine gedruckte Anleitung im Karton, die rein gar nichts mit der installierten Software zu tun hat, sondern das Spiel Sokoban erklärt. Weniger charmant sind die nicht funktionierenden Fingerabdrucksensoren vieler Geräte: Aktiviert man den Sensor, gibt dieser das Gerät bei jedwedem Druck aufs Display frei – man kann also auch mit einer Banane auf den Bildschirm tatschen.
Bei vielen Bestellungen lagen 128-GB- oder 256-GB-MicroSD-Karten als »kostenloses Geschenk« mit im Karton – an dieser Stelle bleiben die Fake-Händler konsequent, denn allesamt waren Fake-Karten, deren Speicher in Wahrheit deutlich kleiner ausfiel als der Aufdruck versprach.
Bei AliExpress ist es möglich, sich explizit nur Angebote anzeigen zu lassen, deren Händler aus Deutschland versenden (»Schiff aus: Deutschland«). Hier fanden wir bei unseren Stichproben keinerlei Fakes – aber leider auch wenige echte Schnäppchen. Bei Wish kann man nicht filtern, aber bei einigen der Fake-Angebote wurde uns ein Versand aus Deutschland angeboten. Das schafft im ersten Moment mehr Vertrauen – schließlich gilt hier ja deutsche Rechtsprechung.
Allerdings ist das mit Vorsicht zu genießen: Zwei unserer »deutschen« Wish-Lieferungen erhielten wir vom Absender »Online Seller, Ludwig-Erhard-Str. 555 in 28197 Bremen«. Diese Hausnummer existiert nicht. Allerdings residiert der Lagerdienstleister Winit in der Ludwig-Erhard-Str. 2 – ein Unternehmen, das sich selbst so beschreibt: »Wir lagern und kommissionieren Ware für Verkäufer, die beispielsweise auf eBay oder Amazon aktiv sind.« Außerdem antwortet das Unternehmen auf der Website bei den häufigen Fragen auf den Auskunftswunsch: »Kann ich das Paket einfach direkt an Winit zurücksenden?« mit: »Grundsätzlich nicht. Kontaktieren Sie immer erst ihren Verkäufer, wie bei einer Retoure vorgegangen werden soll.«
Auch die kostenlos beigelegten Speicherkarten waren Fälschungen
Foto: c'tWas tun?
Ist man auf ein Fake-Phone hereingefallen, kann man sich bei AliExpress oder Wish beschweren. Beide Plattformen verschicken selbst keine Waren, sondern bieten nur die Verkaufsplattform. Nun könnte man denken, dass die Plattformen bei Betrug sofort tätig werden, den Händler sperren, sich entschuldigen und den Kaufpreis zurückgeben. Ganz so einfach ist es aber nicht.
Bei AliExpress muss man beispielsweise zuerst den Händler konfrontieren, bevor die Plattform eingreift. Der Händler stritt in unserem Fall alles ab: Man könne ja im Einstellungsmenü sehen, dass alles der Wahrheit entspreche. Als wir mit Screenshots unseres Analysetools antworteten, wurde er richtig dreist: Unsere Angaben seien falsch, die Software sei nicht »offiziell von Android zertifiziert« und überhaupt sei es total gefährlich, Drittanbieter-Apps zu benutzen, die können ja schließlich persönliche Daten klauen. Als wir entgegneten, wir seien uns zu hundert Prozent sicher, dass unsere Angaben stimmen, kam die Frage: »Wenn Sie das Gerät zurückschicken, müssen sie die teuren Frachtkosten nach China übernehmen. Sind sie bereit zu zahlen?«
Die Annahme, dass die Fake-Händler die Bewertungen selbst schreiben, liegt nahe
Foto: c'tErst die Eröffnung eines offiziellen Streitfalls bei AliExpress – was übrigens bei unserer Testbestellung nur in der AliExpress-Smartphone-App klappte, nicht im PC-Browser – führte zu einem befriedigenden Ergebnis. Der Vorgang läuft einigermaßen kurios ab: Der Geschädigte macht einen Vorschlag, wie viel Geld er zurückhaben will. Wir wollten natürlich den vollen Kaufpreis zurück, schließlich wurden wir betrogen. Dann beschreibt der Beschwerdeführer den Fall und lädt Beweisfotos oder Screenshots hoch.
Anschließend hat der Händler fünf Tage Zeit, zu antworten und ein Gegenangebot zu machen. Erst wenn sich Käufer und Händler nicht einig werden, greift AliExpress ein. Drei Tage nach Ablauf der Fünf-Tagen-Frist kam bei uns der »Richterspruch«: Unser Vorwurf sei in beiden Punkten (Produktfälschung und »Eigenschaften nicht wie beschrieben«) korrekt, wir bekommen den gesamten Kaufpreis erstattet, ohne dass wir das Fake-Phone zurückschicken müssen. Gesperrt wurde der Händler allerdings nicht, sein »Global mobile online Store« bot bei Redaktionsschluss immer noch Fälschungen an.
Bei Wish beschwerten wir uns direkt – also ohne Umweg über den Versender. Hier antwortete uns im Chat ein Servicemitarbeiter, der ebenfalls Beweisfotos sehen wollte. Als wir diese verschickt hatten, stellte man uns eine Lösung innerhalb von 48 Stunden in Aussicht. Die kam allerdings nicht, sondern stattdessen nur generische Textbausteine, dass man mit dem Händler in Verhandlung sei. Zehn Tage nach dem Erstkontakt und vierfachem Nachbohren plus dem Hinweis, dass es sich hier um Betrug handele, bot Wish uns eine Erstattung von 50 Prozent an. Erst als wir das vehement ablehnten, bekamen wir die volle Summe zurück. Die Händlerseite wurde bis Redaktionsschluss ebenfalls nicht gesperrt.
Was sagen die Plattformen?
Als letzten Schritt haben wir die Pressestellen von AliExpress und Wish mit dem Problem konfrontiert. Hier war die Reaktion eine deutlich direktere als auf den Plattformen selbst: Bei Wish fragte uns die Pressesprecherin sofort nach Links zu gefälschten Produkten. Da man auf Wish die Fake-Phones sehr leicht erkennen kann, machten wir die Probe aufs Exempel und schickten zehn Links zu offensichtlichen Fake-Phones – allerdings nicht die, die wir bestellt hatten, denn bei denen wussten wir ja schon, dass es sich um Fakes handelt.
Als Antwort kam: »Danke, dass sie uns auf diese Produkte aufmerksam gemacht haben, wir haben alle gelöscht.« Außerdem gab es das Statement »Wish hat eine Null-Toleranz-Regel gegenüber gefälschten Produkt-Angeboten oder Rechtsverletzungen geistigen Eigentums. Produkteinträge, die gegen unsere Regeln verstoßen werden sofort entfernt […]«. Außerdem machte uns Wish auf ihr »Brand Partner Program« mit »über 2000 Mitgliedern« aufmerksam, mit dem Wish.com »fälschungsfrei« gehalten werde. Das ist natürlich blanker Hohn: »Fälschungsfrei« ist bei Wish.com zumindest in der Smartphone-Kategorie nur sehr wenig.
Bei AliExpress passierte nach unserer Anfrage das Gleiche: Die von uns erwähnten Angebote wurden gelöscht, die Shops blieben aktiv.
Wie kann man Fakes erkennen?
Handyschnäppchen-Jägern kann man nur raten, gerade bei Wish.com und bei AliExpress genau hinzusehen. Dabei ist AliExpress durchaus ein guter Ort, um günstige Smartphones einzukaufen. So konnten wir dort bereits Anfang September das Xiaomi Redmi 10 für 155 Euro (inklusive Versandkosten) bekommen. Das war erst Wochen später offiziell in Europa erhältlich – und dann auch noch deutlich teurer.
Die wohl besten Indikatoren für Fakes sind die RAM- und Flashspeicher-Größen. Ein Smartphone mit 12 GB RAM und 256 GB Flashspeicher kostet zurzeit mindestens 350 Euro, etwa das Realme X3 Super Zoom. Wird ein Gerät mit 16 und 512 GB für unter 150 Euro angeboten, kann man von einem Fake ausgehen. »Glücklicherweise« sind die Fake-Händler unserer Erfahrung nach nie bescheiden, sondern klotzen grundsätzlich mit maximal hohen Hardware-Specs. Mittelklasse-Fakes sind uns nicht untergekommen.
Ein weiterer Indikator sind die Produktnamen und die -fotos. Oft sind es ziemlich unrealistisch aussehende Fotomontagen mit extrem dünnen Bildschirmrändern. Außerdem spielen viele Bezeichnungen an real vorhandene Oberklasse-Smartphones an (»S21« oder »P40 Pro«). Bei Herstellernamen wie »Hauwei« oder »Sumsang« sollte man ohnehin sofort das Weite suchen.
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