Sie hatten für ihn extra Sendezeit freigeräumt. Uli Hoeneß stand vor seinem 36. Länderspiel, diesmal und erstmals als TV-Experte. RTL, das die Partie der deutschen Fußball-Nationalmannschaft in der WM-Qualifikation gegen Island übertrug, wünschte sich von seinem Neuzugang mehr Meinung für die Zuschauer.
Die, so viel sei vorweggenommen, bekamen sie. Das weiße Hemd, das der 69-Jährige unter seinem dunkelblauen Anzug trug, dürfte am Ende wie von vielen erhofft durchgeschwitzt gewesen sein. Hoeneß lieferte zuverlässig. Wenngleich erst spät.
Sein Start im neuen Metier verlief überraschend nervös und holprig. Befragt, was er von der Nationalmannschaft erwarte, nannte der für die Qualifikationsspiele gegen Island, Rumänien und Nordmazedonien verpflichtete Hoeneß drei Siege. Und für „den Jogi“ wünsche er sich, „dass er den Abschied verdient, den er verdient hat.“ Nun ja.
Das allerdings konnte er ihm anschließend auch noch in einer Direktschalte („Guten Abend, Jogi“ – „Guten Abend, Uli“) vor dem Anpfiff mit auf den Weg geben. Gemeinsam mit Moderator Florian König raspelte er konsequent Süßholz, lobte, wünschte und überbot die 291 Sekunden Redezeit, die Moderator König Experte Lukas Podolski beim Länderspiel gegen die Türkei gewährt hatte, noch vor Spielbeginn dank zahlreicher Phrasen.
„Ein guter Start ins neue Jahr wäre die Voraussetzung für eine erfolgreiche EM“, sprach Hoeneß. Und, Obacht: „Die Isländer sind von der physischen Stärke sehr stark.“ Nein, vom Feeling her hatte man noch kein gutes Gefühl.
Bei der Aufstellung vermisse er zwar Timo Werner, aber „der Jogi“ habe sicher gute Gründe. Viel lieber lobte er beim Durchdeklinieren der Aufstellung das Mittelfeld als „Prunkstück“ der deutschen Elf: Gündogan, Kimmich, Goretzka, „besser geht‘s nicht.“ Eine Einschätzung, die von den Protagonisten im Spiel mit einem Ausrufezeichen versehen werden sollte. Immerhin.
Womöglich hatten die Spieler ihn auch bis in die Kabine des Duisburger Stadions vernommen. „Ich hatte schon 2018 gesagt, dass ich mit der Einstellung beim einen oder anderen nicht zufrieden war“, so Hoeneß in seinem letzten Statement vor dem Anpfiff. Es klang wie eine Warnung und schürte beim Zuschauer die Vorfreude auf die Analyse nach der Partie, sollte das Spiel nicht wie erhofft verlaufen.
Ja, die verbale Peitsche schien im Studio 5 in Köln zumindest bereitzuliegen. Wenngleich Hoeneß sie noch unter Verschluss hielt und als großer Patriot, der er ist, offenbar lieber darauf hoffte, an seinem ersten TV-Abend Zucker verteilen zu können.
Als die deutsche Mannschaft mit ihrer engagierten Leistung dann auch noch lieferte, zeichnete sich nicht nur der deutliche Sieg ab. Die berüchtigte Abteilung Attacke würde in der dritten Halbzeit spielfrei haben müssen.
Das Spiel der deutschen Mannschaft war eine auf allen Ebenen gelungene Wiedergutmachung für das blutleere 0:6 gegen Spanien, wie Hoeneß schon während der Halbzeitpause entsprechend kommentierte: „Von der ersten Minute wurde Vollgas gespielt. Man hat die Zweikämpfe gesucht. Man hat sehr hoch angegriffen und den Gegner überhaupt nicht ins Spiel kommen lassen. Alle sind in Bewegung, sie setzen den Gegner sehr früh unter Druck. Man kann wirklich von sehr guten 45 Minuten sprechen. Es wäre schön, wenn wir jetzt gleich das dritte Tor machen würde. Denn dann wäre Ruhe.“ Was ja auch für ihn selbst galt. Hatte Ilkay Gündogan ihn gehört? Keine elf Minuten später war der Ball wieder im Netz der Isländer.
Uli Hoeneß ließ seine Chancen liegen
Und so wurde eine Problematik offensichtlich, die mancher Zuschauer möglicherweise nicht bedacht hatte, als er sich in Vorfreude auf Hoeneßsche Stammtischparolen und Rundumschläge das Bier zum Spiel eingegossen hatte: Hoeneß hatte seine pointierten Monologe in der Vergangenheit immer dann gehalten, wenn er etwas zu sagen hatte. Wenn er wachrütteln wollte, anprangern, oder den moralischen Zeigefinger heben, um andere zu maßregeln. Uli wird eben nur dann zum Hoeneß, wenn etwas schiefläuft. Wenn er sich ärgert und in Rage redet, bis seine Gesichtsfarbe die Alarmstufe spiegelt.
Das Spiel aber gab schlichtweg nichts her. Und die wenigen Gelegenheiten, um Meinung zu machen, ließ der ehemalige Bayern-Spieler, -Manager, -Präsident aus:
Thema Bundestrainer-Nachfolge? „Sehr klug vom DFB, sich mit der Entscheidung Zeit zu lassen und nicht jeder Spur, die die Medien legen, hinterherzuhecheln.“ Nur kurz begab er sich in die so oft von ihm eingenommene Rolle des Moralhüters: „Wir sollten alle jetzt etwas geduldiger sein.“
Thema Toni Kroos als möglicher Verlierer im Konkurrenzkampf um das gelobte deutsche Mittelfeld? „Da wird der Jogi Löw die Qual der Wahl haben.“
Ja, da war mehr drin.
Doch um das Potenzial abzurufen, bedarf es anderer Leistungen und Ergebnisse der Mannschaft. Wer Vokabeln wie „Rumpelfußball“, „Schülermannschaft“ und „Uwe-Seeler-Traditionself“ hören möchte, musste auf das nächste Spiel am Sonntag gegen Rumänien setzen – oder bis zum Ende dabeibleiben.
Denn wer, wenn nicht Hoeneß weiß besser, dass Spiele und Saisons immer erst in der Schlussphase entschieden werden? „Der Weihnachtsmann ist kein Osterhase“, hat er mal gesagt. Und legte nun dem DFB einen ganzen Korb Eier ins Nest.
Das deutsche Länderspiel war längst besprochen, Zusammenfassungen von anderen Spielen in Europa abgespielt, da begann die Abteilung Attacke plötzlich aus allen Rohren zu feuern. „Die frühe Entscheidung von Jogi Löw muss dazu führen, dass der DFB seine Führungsstruktur überdenken muss. Es kann nicht sein, dass das, was sich da momentan abspielt, so weitergeht. Das ist ein Trauerspiel“, eröffnete Hoeneß und nahm vor allem drei Funktionäre ins Visier: Generalsekretär Friedrich Curtius, Schatzmeister Stephan Osnabrügge und Vizepräsident Rainer Koch.
„Ich bin überzeugt, dass hier personelle Konsequenzen getroffen werden müssen. Ich denke da speziell an den Generalsekretär, der völlig überfordert ist in dieser Position. Der Schatzmeister ist ein Arbeitsrechtler. Und die Steuerfahndung geht ja beim DFB etwa so oft aus und ein wie der Briefträger. Und das kann so nicht weitergehen. Auch Rainer Koch glaubt ja, dass er eigentlich der geeignete Präsident wäre. Diese drei Unzufriedenen versuchen hier das Geschäft zu machen.“
König grinste zufrieden, wie nun wohl auch die meisten der Zuschauer, die noch drangeblieben waren. Es gehe nur noch um Postenschacherei, um Aufwandsentschädigungen und Machtspiele. Der Fußball bleibe auf der Strecke, legte Hoeneß nach. Abschließend brach er noch eine Lanze für den Nachwuchs und rief die Bundesligisten dazu auf, in dieser schwierigen Zeit Geld für die Jugendarbeit bereitzustellen. Auch der DFB habe da bislang keine Konzepte entwickelt.
Und so stand am Ende dann doch das Ergebnis, das alle erwartet hattet. Sieg für Deutschland, mit anschließendem Sturmlauf von Hoeneß, der sich am Freitag an den Tegernsee zurückziehen wird. Kraft tanken, ausruhen. Am Sonntag geht es gegen Rumänien weiter.
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