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vonJoost Rademacher
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Cyberpunk 2077 hat aktuell noch einige Probleme und Bugs. Allerdings zeigt der Entwickler CD Projekt RED, wie viel Macht ein kreatives und originelles Setting haben kann.
- Cyberpunk 2077 hat seit Release massive Kritik für seinen schlechten Zustand auf PS4 und Xbox One erfahren (Alle Cyberpunk 2077 News).
- Das Rollenspiel hat allerdings eine der ansprechendsten Spielwelten in jüngerer Erinnerung.
- Es ist nur eins von vielen Beispielen dafür, dass ein gut durchdachtes Setting ungeahnte Macht in Videospielen hat.
Hamburg, Deutschland – Ich darf es ja kaum schreiben, ohne schon beim Tippen die bösen Blicke auf mir zu spüren. Aber in den letzten zwei Wochen war ich von Cyberpunk 2077 nahezu besessen. Ja, es ist verbuggt bis Meppen Süd. Ja, das Gameplay hat mehr versprochen als es hält und letzten Endes ist es doch irgendwie „nur“ ein Open-World-Looter-Shooter. Aber das hält mich nicht davon ab, es in jedem freien Moment zu spielen und zu jeder anderen Zeit spielen zu wollen. Und das liegt vor allem an einer Sache: Night City.
Release (Datum der Erstveröffentlichung) | 10. Dezember |
Publisher (Herausgeber) | Bandai Namco (Europa), Warner Bros (USA), Spike Chunsoft (Japan) |
Serie | - |
Plattform | PS4, Xbox One, Microsoft Windows, Google Stadia, PS5, Xbox Series X |
Entwickler | CD Projekt RED |
Genre | Action-Rollenspiel, Open World |
Cyberpunk 2077: Night City stiehlt die Show
Ich hab in Cyberpunk 2077 noch nicht einmal die Schnellreise-Stationen benutzt. Normalerweise bin ich in der Richtung nicht so ein Snob und wo ich zu faul bin, reise ich ohne Rücksicht auf Verluste oder Immersion völlig wild durch die Weltgeschichte. Ich glaube ich bin nie am Stück von einem Ende der Map in Skyrim zum anderen gelaufen. Aber Cyberpunk 2077 ist anders. Night City als Setting ist anders. Es ist so vollgestopft mit Over-the-Top-Architektur und ineinander verschlungenen Ebenen von Infrastruktur, dass ich weiß, dass es nie in dieser Form wirklich existieren könnte. Aber es fühlt sich so echt an.
Das hat für mich mehrere Gründe. Zum einen ist da die First-Person-Kamera in Cyberpunk 2077. Ganz offensichtlich eigentlich, Dinge aus der ersten Person zu erleben macht sie grundsätzlich greifbarer und immersiver, einfach weil wir uns als Spieler umso mehr in der Haut des Hauptcharakters fühlen. Aber in Cyberpunk 2077 scheint die Perspektive im Gegensatz zu anderen Spielen auch etwas anders zu wirken. Das Sichtfeld ist etwas kleiner, die Kamera fühlt sich etwas näher am Boden an als beispielsweise in einem Call of Duty Cold War.
Eine verhältnismäßig kleine Änderung, die vielleicht so gar nicht wirklich stimmt und nur in meiner eigenen Wahrnehmung existiert. Aber sie wirkt, besonders wenn ich die absurde Vertikalität der Gebäude von Night City ansehe. Man ist oft in Spielen so sehr auf das unmittelbare Geschehen vor einem fixiert und so darauf gepolt, Charaktere und Dinge auf Augenhöhe zu sehen, dass man nicht daran denkt, wie winzig man eigentlich in der Welt ist. Cyberpunk 2077 baut komplett dem entgegen die Gebäude der Stadt in lächerliche Höhen. Und wenn man erst einmal einen Blick nach Oben wirft, schrumpft man umso weiter gegenüber den gigantischen Betonblöcken der Stadt.
Cyberpunk 2077: Architektur zwischen Realismus und Eskapismus
Betonblöcke sind ein gutes Stichwort, denn auch das Layout und die Architektur von Cyberpunk 2077 leisten hier ihren Beitrag zum Setting. Oder anders gesagt, sie SIND das Setting. CD Projekt RED hat nach eigenen Angaben mit tatsächlichen urbanen Stadtplanern gearbeitet, um Night City als Stadt so glaubwürdig wie möglich darzustellen. Und das macht sich bemerkbar. Hochhäuserschluchten schmelzen am Rand von Westbrook nach Santo Domingo allmählich in verarmte Slums über; das Stadtzentrum und der Corpo-Plaza dienen im wahrsten Sinne als Knotenpunkt, in dem Wege aus allen anderen Stadtteilen zusammenlaufen; in Watson sind die ostasiatischen Einflüsse durch die Kontrolle von Arasaka unmissverständlich.
Cyberpunk 2077: Nach oben schauen lohnt sich
© CD Projekt RED
Die gesamte Umwelt, die ganze Stadt selbst betreibt eine eigene große Form nonverbalen Storytellings. Selbst ohne ausschweifende Dialoge oder Stadtgeschichten zum Nachlesen könnten wir durch das bloße Setting herleiten, was alles in der Vergangenheit passiert sein muss, wie japanische Firmen an Einfluss gewonnen haben, wie Pacifica eigentlich ein touristischer Hotspot werden sollte, aber sich komplett selbst überlassen wurde. Das alles sind Ereignisse, die man aus der echten Welt zu genüge kennt. Diesem ganzen Realismus entgegen bietet Cyberpunk 2077 aber so viel futuristischen, neonfarbenen Eskapismus, dass es komplettes Aussetzen jeglichen Unglaubens erlaubt.
Gerade das ist, was Cyberpunk 2077 für mich zu so viel mehr macht, als „nur“ einen weiteren soliden Looter-Shooter mit Rollenspiel-Elementen. Natürlich könnte es mehr Nebenbeschäftigungen zum Zeitvertreib geben, die Steuerung und Physik der Autos könnte besser sein und das Gunplay ist nicht bahnbrechend. Aber ich kann mich komplett in Night City verlieren. Ich kann einfach ein paar Runden um einen Block spazieren gehen und selbst dabei langweile ich mich nicht.
Cyberpunk 2077: Setting ist nicht alles – macht aber alles besser
Besonders Cyberpunk 2077 ist ein dankbares Spiel für einen so ansprechenden visuellen Stil und eine so vielschichtige Stadt. Denn gerade diese beiden Dinge sind es, die das Spiel für viele überhaupt davor retten, komplett fallen gelassen zu werden. Um die Bugs, Glitches und generelle technische Unfertigkeit von Cyberpunk 2077 gibt es kein Herumkommen und Fans sind völlig zurecht sauer auf das Management von CD Projekt RED. Das müssen wir so festhalten, in diesem technischen Zustand hätte das Spiel nicht schon erscheinen dürfen.
Cyberpunk 2077: Trotz Makeln und Mängeln eine Augenweide
© CD Projekt RED
Aber ein Großteil aller Fans stimmt überein, dass die Spielwelt und die Ästhetik von Cyberpunk 2077 über jeden Zweifel erhaben sind. Eben das ist die Macht eines originellen und detailliert durchdachten Settings: Es kann gute Spiele großartig machen und selbst schlechten Spielen einen Mehrwert geben, der sie vor dem völligen Untergang rettet. Für beide Lager haben uns die letzten Jahre reichlich Beispiele gegeben, die diesen Gedanken unterstreichen. Schauen wir uns ein paar Kandidaten an.
Cyberpunk 2077: Leidenspartner im Geiste – Schlechte Spiele mit denkwürdigen Settings
Denken wir zum zum Beispiel einmal das eigentlich in großen Teilen völlig vergessene The Order 1886 für die PS4. Der Third-Person-Shooter sollte als DER Showcase für die Konsole dienen, nur um bei Release komplett abzurauchen. Die Story war beleidigend vorhersehbar, die Bosskämpfe waren auf Quick Time Events reduziert und sein Gameplay kaum noch eine Randnotiz wert. Aber der cineastische Stil und die viktorianische Ästhetik geben immer noch Anlass, auf einen ausgefeilteren Nachfolger zu hoffen, der seinem Setting endlich gerecht wird.
The Order 1886: Dieses London hat ein besseres Spiel verdient
© Ready At Dawn
Oder denken wir an Agony, ein Horror-Adventure von 2018. Das Spiel war leider absolute Grütze mit Aufgaben, die sich nach zwei Stunden schon abnutzten und einer grauenvollen (die falsche Art von grauenvoll) KI. Eigentlich gibt es nichts an Agony, das man gut reden könnte. Abgesehen von einer der groteskesten und wunderbar ekelhaftesten Darstellungen der Hölle, die wir in einem Videospiel gesehen haben. Dieses Setting ist der eine Gnadentreffer, der eine Punkt der dem Spiel das Prädikat „Es ist echt furchtbar, ABER...“ einbringen kann.
Zuletzt müssen wir mal einen Blick auf Control werfen, den Third-Person-Weirdo-Metroidvania-Shooter von Remedy von 2019. Control ist zum Glück kein schlechtes Spiel, anders als The Order 1886 und Agony. Tatsächlich ist Control ziemlich gut, unter Anderem dank befriedigendem Gunplay und einer wunderbar zerstörerischen Physikengine. Eine Sache hebt es aber von gut auf eins meiner liebsten Spiele der letzten Jahre und nach über 1000 Worten könnt ihr es wahrscheinlich erraten. Ich liebe das älteste Haus als Setting. Seine unmögliche Architektur, der völlig außer Kontrolle (haha) geratene Sichtbeton, die schieren Absurditäten darin sind für mich Grund genug, immer und immer wieder dahin zurückzukehren.
Control: Ein Vorzeigebeispiel für Originalität
© Remedy Entertainment
Cyberpunk 2077: Wenn der Staub sich legt, bleibt Night City
Genau so wird es mir wahrscheinlich auch in Zukunft mit Cyberpunk 2077 ergehen. Im Moment sind die Wunden um CD Projekt REDs Lügen noch frisch, die Gemüter von den ganzen Kontroversen und wütenden Diskussionen noch zu erhitzt. Aber ich glaube und ich hoffe, dass ich mit meinem Denken auf Dauer nicht allein sein werde. Wenn der Staub sich einmal legt und das Spiel ausreichend nachgepatcht worden ist, werden hoffentlich auch noch mehr Leute erkennen, dass allein Night City als Schauplatz mindestens einen Blick und im Idealfall eine Reise wert ist.
Glaubt mir, ich werd von CD Projekt RED nicht dafür bezahlt, das zu sagen. Ich bin ja selber immer noch entsetzt darüber, wie das Studio mit seinem eigenen Spiel umgeht. Aber in diesem Moment sehe ich Cyberpunk 2077 mal ganz losgelöst von den Leuten, die für seine Entstehung und seinen jetzigen Zustand verantwortlich sind. Und da sehe ich eine Stadt, die jenseits allen Gameplays, aller Stories die darin stattfinden, einen unheimlichen Sog auf mich ausübt. Mich mit ihren Wolkenkratzern, bunt blinkenden Schildern und all ihrem Dreck immer wieder ins Spiel zurückzieht. Und das ist die Macht, die ein originelles Setting über ein Spiel haben kann.
Rubriklistenbild: © CD Projekt RED (Montage)
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