Nach dem Spiel ist vor der Inventur. Diesen Donnerstag wird Joachim Löw nutzen, um die Lage der deutschen Fußball-Nationalmannschaft zu sortieren. Wo steht das Team des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) zwölf Tage vor dem ersten Spiel bei der Europameisterschaft gegen Weltmeister Frankreich in München? Welcher Spieler ist in welchem Zustand? Und vor allem: Welche Probleme müssen behoben werden? Schon am späten Mittwochabend nach dem 1:1 gegen Dänemark im vorletzten Testspiel vor der EM begann der Bundestrainer mit seiner Bestandsaufnahme. Klar ist: Es gibt noch einige Baustellen für Löw.
Am Donnerstag wird er endlich auch die letzten Spieler seines Kaders im Trainingslager in Seefeld begrüßen können. Kai Havertz, Timo Werner und Ilkay Gündogan, die am vergangenen Samstag in Porto noch im Champions-League-Finale spielten, werden in Tirol erwartet und komplettieren das EM-Aufgebot von 26 Spielern; Antonio Rüdiger vom FC Chelsea war schon am Mittwoch angekommen und saß in Innsbruck beim Dänemark-Spiel auf der Tribüne. Am Freitagvormittag, wenn es mit einem öffentlichen Training weitergeht in der Vorbereitung auf die EM, werden allerdings nicht alle mitmachen können.
Emre Can leidet an einer Adduktorenzerrung, die er sich schon vor der Testpartie zuzog. Er wird wohl noch zwei, drei Tage aussetzen müssen. Auch Leon Goretzka wird nach seinem Muskelfaserriss im Oberschenkel vorerst nicht auf dem Rasen zu finden sein. Der Spieler des FC Bayern braucht noch ein wenig individuelles Aufbautraining. Zudem plagen Mats Hummels, der wie Thomas Müller erstmals seit November 2018 in der DFB-Auswahl spielte, Probleme mit der Patellasehne. „Das behindert ihn manchmal beim Sprint ein wenig, ist aber nicht weiter tragisch“, sagte Löw. Nach einem Tag Pause soll Hummels, der gegen die Dänen 90 Minuten durchspielte, wieder dabei sein.
Neuhaus und Poulsen treffen
Im ersten Teil des Trainingslagers hatte der Bundestrainer den Fokus auf die Defensive gelegt. Ein 0:6 gegen Spanien in der Nations League im November oder das 1:2 gegen Außenseiter Nordmazedonien in der WM-Qualifikation im März hatten gezeigt, dass es in der DFB-Abwehr gravierende Probleme gibt. Deshalb holte Löw Hummels zurück. Gegen Dänemark war der das linke Glied einer Dreierkette mit dem zentralen Niklas Süle und Matthias Ginter auf rechts. Dazu kamen die offensiveren Außenverteidiger Robin Gosens (links) und Lukas Klostermann plus die zentralen defensiven Mittelfeldspieler Joshua Kimmich und Florian Neuhaus, der in der 48. Minute das deutsche Tor zum 1:0 erzielte.
Nachher erklärte Löw seinen Plan hinter der Anordnung und Besetzung. „Ich wollte das Zentrum mit drei Innenverteidigern gut schließen“, sagte der Bundestrainer. „Das ist uns gut gelungen. Das kann beim Turnier absolut eine Option sein. Maß aller Dinge wird sein, dass wir in der Lage sind, zu Null zu spielen und einen Vorsprung auch mal über die Runden zu bekommen. Man kann nicht immer einem Rückstand hinterherlaufen.“ Diesen gab es dieses Mal tatsächlich nicht, ein Gegentor allerdings schon. Der Leipziger Yussuf Poulsen nutzte die einzige Chance der Dänen zum 1:1 in der 72. Minute.
Der Treffer war auch Anschauungsunterricht für die Deutschen bei einer weiteren großen Baustelle. Denn die Effizienz ist weiter ein Manko. Nur eine der guten Chancen wurde verwertet: Müller stand ganz frei vor dem Tor, als er einen hohen Chipball von Joshua Kimmich in die Arme des Torwarts köpfte (14.), Hummels rutschte haarscharf an Kimmichs gefährlicher Hereingabe vorbei (35.), Serge Gnabry knallte den Ball nach einer Finte nur ans Lattenkreuz (44.) und nach Ginters Hereingabe flog der Ball im Gewühl mit Kimmich nur an den Pfosten (77.). So blieb es am Ende beim Unentschieden.
„Das Problem hat uns schon in der Nations League und auch in der WM-Qualifikation begleitet, dass wir uns eine Vielzahl von Chancen erspielen, aber uns häufig nicht entscheidend belohnen“, sagte Löw nach 16 Schüssen auf das gegnerische Tor. „In der nächsten Woche werden wir uns eingehend mit der Offensive beschäftigen, mit dem Abschluss. Aber das ist eine Sache, die kann man im Training nicht so einfach simulieren, diese Wettkampf- und Drucksituationen. Wir werden es thematisieren und versuchen, im Training solche Situationen herzustellen, dass sie dem Wettkampf ähneln.“
Ein Baustein für mehr Effektivität vor dem gegnerischen Tor soll der erfahrene Rückkehrer Thomas Müller sein, auch wenn er seine gute Chance gegen die Dänen vergab. Der Test „war intensiv“, sagte er. „Ich habe viel Gutes gesehen, aber natürlich hatten wir auch eine Phase in der zweiten Halbzeit, in der wir nicht mehr so in die Zweikämpfe gekommen sind.“ Er habe „schon gesehen, nicht nur, dass wir wollen, sondern auch, dass wir Dinge umsetzen können“. Insgesamt habe man „nicht viel falsch gemacht“, sagte Müller. Am Ende sei das Remis auch deshalb „ärgerlich“.
Auffällig im zuschauerleeren Tivoli-Stadion von Innsbruck war die vermehrte interne Kommunikation im Team. Auch dafür sollen Hummels und Müller sorgen. Das gelang, wie Löw bemerkte: „Verbessert waren die Kommunikation auf dem Platz, die Kommandos und Anweisungen. Das war auf jeden Fall sehr positiv.“ Insgesamt hätten die Rückkehrer „ein gutes Spiel gemacht“, sagte der Bundestrainer. „Die Abstimmung muss bei allem noch verfeinert werden. Das passiert, wenn wir vollzählig sind.“ Daher blieb am Ende des Abends Löws zwiespältiges Fazit: „Es gab Licht und Schatten.“
Einer, der Licht spendete, war Neuhaus, nicht nur wegen seines Treffers. Der Mönchengladbacher fiel durch viel Laufarbeit auf. „Die Leistung war auf jeden Fall gut. Das ist auch das Ziel, dass die Spieler, die hinten dran stehen, den Druck immer hochhalten und andere antreiben mit guten Leistungen im Training.“ Dennoch dürfte Neuhaus zum EM-Start nicht in der Startelf stehen, denn im Mittelfeld mit Kimmich, Gündogan, Toni Kroos und Goretzka hat Löw wohl die wenigsten Sorgen. Knapp zwei Wochen bleiben, um die anderen Baustellen zu schließen. Getestet wird noch ein letztes Mal am Montag (20.45 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zu den Länderspielen und bei RTL) in Düsseldorf gegen Lettland.
Artikel von & Weiterlesen ( Die Baustellen des Joachim Löw - FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung )https://ift.tt/3fNZiUS
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