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FC Bayern gegen Bielefeld: Gaudi im Schneegestöber - Süddeutsche Zeitung - SZ.de

Manchmal deutet sich der Unterhaltungswert von Fußballspielen, so überraschend er grundsätzlich daher kommen mag, sehr frühzeitig an. Am Montagabend waren zehn Minuten gespielt, als sich eine Hilfskraft aufmachte, mit einem Räumer die weißen Linien des Spielfeldes vom mindestens ebenso weißen Schnee frei zu schippen. Spielunterbrechung. Der weiße Ball wurde getauscht gegen ein orangenes Exemplar, das schlichtweg größeren Kontrast versprach. Und am Spielfeldrand nutzte Hansi Flick, Trainer des FC Bayern, die wetterbedingte Unterbrechung wie eine Auszeit beim American Football. Er redete aufgeregt auf den Verteidiger Alphonso Davies, den Mittelfeldmann David Alaba und den Offensiven Eric Maxim Choupo-Moting ein. Die Szene war sinnbildlich: Irgendwie hatten ja sämtliche Mannschaftsteile gemeinsam diesen frühen Rückstand verbockt, der später in ein hart erkämpftes 3:3 (0:2) gegen Arminia Bielefeld münden sollte.

Schon nach neun Minuten war doch tatsächlich ein gewisser Michel Vlap, vor der Partie erst zur Arminia gewechselt, beim Torjubel vor Freude durch den Strafraum von Manuel Neuer gerutscht, als hätte er Kufen unter den Knien. Und wie Flick da nun stand und gestikulierte, da fiel einem eine Legende über Alexander den Großen ein, die ja viel zu herrlich ist, um restlos erfunden zu sein: Als Alexander einst die Größe seines Reiches betrachtete und sich ihrer gewahr wurde, da musste er anfangen zu weinen. Weil er begriff, dass es für ihn nichts mehr zu erobern gab.

Bielefeld... Im Schneegestöber... Muss das sein?

Ähnlich müssen sich die Münchner an diesem Montagabend in der Arena gefühlt haben, als sie nach ihrem Ausflug ins sonnige Katar, wo sie ihren Sechs-Pokale-Siegeszug zum Abschluss gebracht hatten, eine Mannschaft aus dem düsteren Bielefeld empfangen mussten. Im Schneegestöber. Vier Tage, nachdem sie den Pokal bei der sogenannten Klub-WM gestemmt hatten, bei der sich traditionell eine europäische Mannschaft als weltbestes Team bezeichnen darf, sobald sie Gegner wie Al Ahly aus Ägypten oder Tigres aus Mexiko abgefertigt hat, was man den Bielefeldern auch noch zugetraut hätte.

Wie also sollten sich diese Münchner denn bitteschön motivieren für eine Partie gegen Arminia, zumal bei sibirischen Temperaturen - und angesichts eines durchaus komfortablen Polsters vor diesem Bundesliga-Spieltag mit sieben Punkten Vorsprung vor Leipzig? Ganz am Ende dieses denkwürdigen Abends sprach Bielefelds Kapitän Fabian Klos jedenfalls einen auf sehr vielen Ebenen herrlichen Satz: "Die Bayern sind eine unglaublich gute Mannschaft. Als der Schnee nicht mehr da war, wurde es für uns schwieriger."

Was soll man sagen? Die Bayern heulten nicht rum wie Alexander der Große. Aber zur Eroberung des Endes der Welt, das ja in Deutschland bekanntlich kurz vor Bielefeld beginnt, half Flick am Ende auch der Einsatz seiner Hilfstruppen nicht, deren Siegesdurst ja eigentlich noch nicht gestillt war. "Wenn man unseren Kader gesehen hat, wer am Ende noch auf der Bank saß, dann hat man gesehen, dass der eine oder andere gefehlt hat", philosophierte Flick später. "Und das hatte nicht nur mit Katar zu tun." Es hatte auch mit dem Coronavirus zu tun, das schon vor der Klub-WM von Javi Martínez und Leon Goretzka Besitz ergriffen hatte - und zuletzt auch noch vom in Bestform so unersetzlichen Thomas Müller.

Kimmich erholt sich auf der Bank. Aber nicht lange.

Flick baute seine Elf im Vergleich zum Finale in Katar auf drei Positionen um: Bouna Sarr gab den Rechtsverteidiger anstelle von Benjamin Pavard, dessen Abstauber gegen Tigres die Klub-WM entschieden hatte. Corentin Tolisso rückte ins defensive Mittelfeld für Joshua Kimmich, der sich wohl mal erholen sollte. Und Choupo-Moting ersetzte den jüngst verletzten Serge Gnabry hinter der Spitze Robert Lewandowski.

Zunächst sah es so aus, als wollten sich die Münchner im Schneegestöber nicht aufwendig durchs Zentrum passen. Alaba probierte einen weiten Pass über die gesamte Arminia-Elf mit Ausnahme des Torwarts hinweg. Brachte nichts. Ebenso wenig das Schüsschen von Choupo-Moting kurz darauf. Die Bielefelder versuchten ein paar scharfe Konter über Vlap durch die Vierkette der Münchner zu schieben, aber deren Protagonisten liefen ihm die Bälle ab. Zunächst. Bis zu jenem Moment, als Vlap eine Lücke fand zwischen den Innenverteidigern Süle und Sarr, die auf dieser Position ja eigentlich beide keine Stammkräfte sind.

Auf die erste Schneeräum-Aktion folgte eine zweite. Könnte man im Winter nicht prophylaktisch farbige Linien auftragen? Doch, gewiss! Eine SZ-Blitzrecherche ermittelte den Platzwart des FC Augsburg, der am 10. Dezember 2017 vor einer Partie gegen Hertha mal rote Linien zeichnete. Kein Vorwurf an dessen Münchner Kollegen. Aber die Bayern erspielten sich keine zwingenden Chancen: Einmal warf der Bielefelder Amos Pieper rechtzeitig sein Bein in die Gefahrenzone, bevor der Ball Choupo-Moting erreicht hätte. Ein anderes Mal war Leroy Sané fast durch, doch dann schoss er nur den Torwart Stefan Ortega an.

Man würde gerne behaupten, dass das 2:0 der Bielefelder wie aus dem Nichts fiel. Es fiel aber mit so viel Vorhersage wie die Schneeflöckchen, die den Rasen in ein hübsches Kleidchen hüllten. Vlap flankte einen Freistoß auf Pieper, der drückte den Ball mit dem Kopf ins Netz. Süle und Hernández griffen ein wie Schneemänner im Vorgarten, wenn der Briefträger kommt.

Die Rasenheizung nutzte die Halbzeit, um den Schnee gänzlich wegzuschmelzen. Und Lewandowski diese möglicherweise, um über Sinn oder Unsinn einer Partie gegen Bielefeld nachzudenken, vier Tage, nachdem er mit seinen Kollegen die Welt erobert hatte. Kurz nach Wiederanpfiff fand ein Pass Alabas seinen Weg zu ihm, als er mit dem Rücken zum Tor lauerte. Eine gekonnte Drehung, ein herrliches Tor. Die Bayern waren wieder im Spiel. Aber warum ließen sie dann gleich im Gegenzug einen Konter geschehen, den Christian Gebauer zum 3:1 für die Gäste über die Linie drückte (49.)?

Nach Davies' 3:3 bleiben noch über 20 Minuten. Aber es folgt ... nichts.

Mit dem Schnee waren auch alle möglichen Ausreden der Bayern verschwunden. Und so fluteten sie nun die Rohre und feuerten aus allen Lagen: Tolisso setzte per Kopf eine Flanke von Sané ins Netz (57.). Dass Flick nun den Sieg erzwingen wollte, machte er deutlich, indem er den ausgeruhten Heißsporn Kimmich brachte für den eher ruhigen Sarr. 30 Minuten waren noch zu spielen, das war ja wohl ausreichend Zeit! Dachten sich wohl die Bayern. Wieder machte Sané Tempo über die rechte Seite, wieder flankte er, diesmal fand der Ball den Weg zu Davies, der zum Ausgleich einschoss (69.).

Das wäre nun der Moment gewesen für die tapferen Bielefelder, um sich ihrem Schicksal zu fügen, das sie mit einer teuflisch trügerischen 2:0-Führung eingelullt hatte. Aber sie rannten weiter gegen es an, erst ein Videobeweis kassierte einen Treffer von Sergio Córdova, Vorlagengeber Fabian Klos hatte Millimeter im Abseits gestanden.

Vier Tage nach dem Finale in Katar stand Flick in seiner Zone, peitschte die Spieler nach vorne. Aber vielleicht ist irgendwann die Welt auch mal genug.

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